Witzwort vertellt

22. Der Frisör, „de swarte Düwel“ und die Folgen eines Sonnenbrands

Gerhard Meier, Jahrgang 1938, lebt heute in Aachen. Er hatte Verwandtschaft in Witzwort und wohnte während des Krieges mit seinem Bruder und seinen Eltern von 1944 bis 1946 in der Dorfstraße Nr. 6 bei seinem Großonkel Steffen Martens. Er ist auch in Witzwort eingeschult worden.

Danach war er oft noch in den Sommerferien hier zu Besuch. Er berichtet über seinen Großonkel:
„Hans Steffen Martens war jahrzehntelang neben Agnes Hansen (Dorfstraße 36) Frisör in Witzwort, und zwar in dem Haus Dorfstraße/Lenschweg auf der linken Seite, wenn man in Richtung Schule schaut; und er war Barbier, d.h. ,he nehm de Männer de Bort af‘, wie man zu sagen pflegte. Im Sommer kamen die Männer, v.a. die Bauern, erst nach getaner Arbeit am Abend und saßen oft bis nach zehn Uhr in de ,Grode Stuuv‘, die als Wartezimmer diente. (Auch hat er über Jahre nachmittags nach dem Unterricht die Witzworter Schulen gereinigt.)

Zwischen 1933 und 1945 hing, wie wohl allerorten in offiziellen Räumen üblich, auch das Bild des ,Führers‘ in seinem Wartezimmer. Das folgende Wortgeplänkel – es wurde oft in unserer Familie zitiert – bezüglich dieses Bildes mag die Spannungen jener Zeit verdeutlichen. Meine Urgroßmutter: ,Haal mi de swarte Düwel vun de Wand!‘ Ein wartender Bauer: ,Ick kunn Di anzeigen, Naasche Doors!‘ Darauf sie: ,Du warrs Di wohrn!‘ (Ihr Ansehen war offensichtlich viel zu groß, als dass er gewagt hätte, sie anzuzeigen.)“ Soweit Gerhard Meier.

Über Steffen Martens und seinen Salon gibt es noch viele weitere Geschichten, ein Beleg dafür, wie sehr der Frisör damals ein Treffpunkt im Dorf war. Man erzählt, dass er, weil er 100 Jahre alt werden wollte, viele Zwiebeln aß und einen entsprechenden Geruch ausströmte. Inge Claussen erinnert sich, dass er gut singen konnte und auf Feiern gern Paare ein zweites Mal „traute“ mit dem Lied Vogelhochzeit und der Zeile: Wer hat uns getraut, der Dompfaff.

Heinrich Alberts berichtet: „Steffen Martens hatte für Jungs mit widerspenstigen Haaren ein Spezialgerät: Eine Drahtrolle, ca. 15 cm dick und 30 cm lang, mit Borsten rundherum und 2 Griffen. Wenn er den Jungen fertig barbiert hatte, ging er ihm damit über den Kopf ,bis das Blut herab lief‘. Der Haarschnitt kostete 40 Pfennig.“

Einmal hatte Martens einen Sonnenbrand an den Füßen, konnte nicht aufstehen. Freundin Alice Döring schnitt Heini die Haare nach seiner Anweisung vom Sofa aus. Das Ergebnis war so verheerend, dass der Junge anschließend zu Agnes Hansen gehen musste, die den Schnitt korrigiert hat.

Heinrich Alberts erinnert sich auch, dass Steffen Martens eine Reservistenpfeife hatte, ein Andenken an seine Soldatenzeit: „Sie lehnte in der Barbierstube in der Ecke und war so hoch wie die Stube. An der Pfeife waren allerlei Schelleratien (geschnitzte Teller) befestigt. Der Kopf war größer als eine Flasche und der Stiel dicker als ein Handstock. Allein konnte er die nicht anzünden, weil man  nicht gleichzeitig oben am Mundstück ziehen und unten die Flamme dran halten konnte.“

Und Hans-Werner Grothe weiß zu berichten: „Kinder mussten beim Haareschneiden hintenan stehen. Wenn ein Erwachsener rein kam, wurde der vorher dran genommen mit der Bemerkung ,de Jung, de hät noch Tied‘.“

Das Foto, das uns Gerhard Meier zur Verfügung gestellt hat, zeigt ihn auf dem Schoß seiner Urgroßmutter Dorothea Martens, geb. Jessen. Links steht seine Mutter Herta Meier, geb. Pralle, rechts sein Großonkel Steffen Martens und links daneben dessen Sohn Hans-Julius. Es wurde ca. 1939 aufgenommen. Neben der Tür hängen ein Wimpel mit der Aufschrift „Eis“ und der typische Barbierteller.  

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