Witzwort vertellt

55: Gruß aus der Hauptstadt

Über hundert Jahre schlummerte sie unentdeckt im Gebälk eines Witzworter Hauses, ehe sie wieder zum Vorschein kam: Die Berliner Abend-Zeitung vom 1. Dezember 1899!

Das Haus Rosenmarkt 2 wurde vermutlich nach dem Brand am damaligen Luusmarkt (um 1860) gebaut. Hier wohnte Anfang des 20. Jahrhunderts die Familie Tedsen und danach Sophie Röhe, die Handarbeitsunterricht gab. Familie Nymand kaufte das Haus im Jahr 2004 und entdeckte dort bei den nachfolgenden Renovierungsarbeiten die gut erhaltenen Reste der Hauptstadt-Zeitung.

Die Berliner Abend-Zeitung wurde 1889 gegründet. Ihr Verleger August Scherl (1849–1921) erreichte mit seinen Zeitungen zeitweise die höchsten Auflagen in Deutschland. Er wollte moderne Zeitungen machen, wie er sie aus dem Ausland kannte. Statt lange, kenntnisreiche Artikel abzudrucken, veröffentlichten seine Blätter vor allem kurze Kommentare – und erreichten damit ein breites Publikum. Finanziert wurden die Zeitungen weitgehend über Anzeigen. Wirtschaftlichen Erfolg erzielte Scherl allerdings damit nicht, sodass er 1913 sein  Zeitungsunternehmen verkaufen musste. 1917 wurde die Abend-Zeitung eingestellt.

Was berichten uns die beiden Zeitungsschnipsel über das Leben um die Jahrhundertwende? Auf der Titelseite wird der Besuch des Kaisers in England kommentiert. Der zweite Artikel handelt von dem  knapp zwei Monate zuvor ausgebrochenen Burenkrieg. Hier kämpften Briten und Buren um die Vorherrschaft im südlichen Afrika. Der Krieg endete 1902 mit dem Sieg Großbritanniens. Auf der Rückseite verspricht die Zeitung Neuabonnenten einen Prachtband über das Weltall und nebendran berichtet der Budapester Korrespondent von der Glückspielleidenschaft in der ungarischen Hauptstadt.  

Ein zweiter Ausschnitt berichtet „Aus der Sportwelt“. Hier geht es natürlich um Fußball. Unumstrittener Champion ist die englische Mannschaft, die gegen Deutschland mit 13:2 und 8:2 siegt und wenig später gegen Österreich mit 8:0. Deutliche Ergebnisse, die zeigen, dass der Fußball ursprünglich aus England kommt und sich damals in Deutschland noch nicht durchgesetzt hatte. Rechts daneben wird über eine tödliche Messerattacke auf einen gewissen Fritz Rüphan berichtet. Die Rückseite gibt uns einen Einblick in das Börsengeschehen („ausgesprochen günstig“, „hervorragend gute Disposition des Marktes“). Daneben steht Werbung. Man kann aber leider nicht feststellen, für welche Produkte.   

Ja, so sehr unterscheidet sich die Zeitung von 1899 dann doch nicht von einer heutigen Ausgabe: Fußball – Krieg – Börse – Fußball –  Mord- und Totschlag… Haben wir heute auch alles noch. Und sogar vorläufig noch einen „Kaiser Franz“!

Quellen: Michael Nymand, Brockhaus 1920, Wikipedia, Dorfarchiv

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