Witzwort vertellt

56: Die Witzworter Liedertafel

Der Männergesangsverein wurde 1864 gegründet. Solche Vereine gab es damals in jedem Dorf, sie boten zwanglose Geselligkeit, lieferten musikalische Untermalung für Feste aller Art, und dienten, in heutigen  Worten, als Kontaktbörse für Geschäfte und Gefälligkeiten.

Das im Archiv vorhandene Protokollbuch berichtet ausführlich vom Vereinsleben: welche Stücke geübt wurden, wer im Tenor und wer im Bass sang, wer beim Übungsabend fehlte. Auch die Freizeitaktivitäten sind dokumentiert, so z.B. 1893 ein Ausflug nach Schwabstedt. Es wurden Fuhrwerke angemietet und man strebte ein einheitliches „Outfit“ an: „Der Antrag, dass sämtliche Aktive in Kamerunhüten mit blauem Band erscheinen, wird angenommen“. Die Idee wird allerdings schon eine Woche später begraben: „Um die Vereinskasse nicht zu sehr zu belasten, wird von der Anschaffung der Hüte Abstand genommen“. Mit „Kamerunhüten“ sind vermutlich die Hüte der sog. Schutztruppen gemeint, die mit Waffengewalt die damalige deutsche Kolonialmacht sicherten. Weiter geht es im Protokollbuch über Jahrzehnte hinweg mit Notizen zu Übungsabenden, Bällen und Ausflügen. Hin und wieder klingt an, dass man sich über mehr Mitglieder freuen würde.

Das Foto zeigt uns die Mitglieder der Liedertafel, vermutlich beim Eiderstedter Sängerfest 1932 in Garding. Zum  Eiderstedter Sängerbund gehörten damals neben der Witzworter Liedertafel der Damen- und der Männergesangsverein St. Peter, der Liederkranz Garding und die Gesangsvereine aus Tetenbüll und Oldenswort. Identifizierte Personen (von links): hinter dem kleinen Schildträger Heinrich Alberts (mit Schärpe), neben ihm Tobias Hansen, davor Chorleiter Alwin Möller, dann Tete Bielenberg (hinten mit Hut),) Hermann Dierks (mit Schärpe, ohne Hut), Ferdinand Wilstermann (vorn mit Zigarre), der 2. neben ihm Jürgen Jöns (ohne Kopfbedeckung), dann Ingwer Claus Knutz.  

Hauptlehrer Möller leitete die Liedertafel von 1930 bis 1934. Am Ende seiner Dienstzeit notierte Schriftführer Paul Heyer im Protokollbuch: „In den letzten Tagen hat sich vieles zugetragen! Der Dirigent Möller wurde versetzt nach Norderbrarup in Angeln. Sein Nachfolger wurde der Lehrer Timm.“ Auslöser für die Versetzung  Möllers war ein Brief an das Schulamt mit der Forderung nach seiner „Amtsenthebung“, unterschrieben von 25 Witzwortern, darunter der gesamte Schulvorstand und alle NSDAP-Größen. Als Grund wurde bemüht, dass Möller kein hinreichend eifriger Nazi war. Obwohl Möller allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen mit guten Argumenten begegnen konnte und das Schulamt ihm wertvolle pädagogische Arbeit bescheinigte, wurde er letztlich doch aus Witzwort entfernt. Von den Sängerkollegen, die mit ihm auf dem Foto sind, hatten mindestens drei den Brief mit unterschrieben.

Mit dem neuen Chorleiter Timm kam die Sängertafel nicht zurecht. Der persönlich schwierige Mensch lehnte es u.a. ab, die Sänger bei der Liederauswahl mitentscheiden zu lassen. Als sie ihn durch den „Berufsmusiker“ Pastor Schröder aus Tönning ersetzen wollten, eskalierte der Streit, in dessen Folge die Liedertafel 1936 sogar vorübergehend verboten wurde.  

Die Protokollbucheinträge beginnen erst wieder mit dem 10. Februar 1953, an dem „20 sangeslustige Witzworter“ eine „Neugründungsversammlung“ abhielten. 14 weitere kamen in den folgenden Wochen hinzu. Geübt wurde unter der Leitung des Lehrers Albert Köllges: „Grüß‘ Gott mit hellem Klang“, „Wie ein stolzer Adler“ und „Das Leben bringt groß Freud“. Der erste Auftritt fand im August desselben Jahres statt. 1954 wird Friedrich Johannsen Dirigent. 1956 fand das Eiderstedter Sängerfest in Witzwort statt, eine große Aufgabe für den mitglieder- und finanzschwachen Verein, das aber auch wegen des günstigen Wetters ein Erfolg war. Zur Deckung des Defizits mussten allerdings Gemeinde, Kreiskulturring und Heimatbund einspringen. Im März 1959 wird im Protokollbuch über unzureichende Teilnahme an den Übungsabenden geklagt. Es sollen neue Mitglieder gewonnen werden. Als der Dirigent Heinrich Schröder nach einem halben Jahr Krankheit starb, musste eine Krisensitzung einberufen werden. Der Lehrer Peter Godt wurde gebeten, den Dirigentenposten zu übernehmen. Aber alle Anstrengungen nutzten nichts. Die Teilnehmerzahl schwand dahin, so dass am 8. März 1960 die außerordentliche Mitgliederversammlung beschließen musste, den Verein „ruhen zu lassen“. Geplant war eine weitere Versammlung im Oktober des Jahres – ob sie stattgefunden hat, geht aus dem Protokollbuch nicht hervor. So endete vor 56 Jahren die Geschichte der Witzworter Liedertafel, nur vier Jahre vor ihrem hundertsten Jubiläum, das sie 1964 hätte feiern können!

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